Nieder- und Oberaichbach gehören zu den wenigen Dörfern, die ein schriftlich überliefertes Hofmarks- oder Dorfrecht vorweisen können. In früheren Jahrhunderten gab es keine Gerichts- und Verwaltungsbehörden, die von einem zentralen Ort aus die erfreulichen und unangenehmen Vorkommnisse des täglichen Lebens regelten, soweit öffentliches Interesse bestand. Unsere Dörfer waren im Besitz von Einzelpersonen, die durch ihre Vertreter zusammen mit den Dorfbewohnern Recht sprechen ließen, Verwaltungsakte vollzogen und Steuern eintrieben.
Beide Dörfer waren sogenannte geschlossene Hofmarken. Das bedeutet, dass Haus und Hof, Wald und Flur des Dorfes einem adligen Besitzer als Eigentum gehörte. Der Besitzer übte über dieses „geschlossene“ das vom Landesherrn verliehene Hofmarksrecht aus, einschließlich über einzelne Höfe, die auswärtigen Standes- oder Privatpersonen gehörten. Über Kirchen- oder Klosterbesitz hatte der Hofmarksherr keine Gewalt, die Kirche hatte eine eigene Rechtssprechung. Davon waren alle Dorfpfarrer ihre Widum (Pfarrbauern)höfe, sowie das Eigentum und die dazugehörigen Personen des Klosters Niederviehbach bei uns betroffen.
Oberaichbachs Dorf- oder Hofmarksrecht, das die Jahreszahl 1521 trägt, wurde auf Geheiß des damaligen, adligen Dorfbesitzers Oswald Schurf am 26. Juni 1559 im Kloster Seligenthal bei Landshut von einem alten Urbarbuch (Grund- oder Steuerbuch) abgeschrieben. Die mehrmaligen Bemerkungen „wie von alters her gwest“, weisen auf ein hohes Alter der Dorfgesetze hin. Mit nur 37 Vorschriften regelte man damals in Oberaichbach Vorkommnisse der Kriminaljustiz, der niederen Gerichtsbarkeit, der Ortspolizei, das Berufsleben der Landwirte, der gemeinsamen öffentlichen Arbeiten (Scharwerke) und regelte darin die Preise bei Wirt, Schmied und Bader, dem Verantwortlichen für die Dorfgesundheit. Nur das zum Gemeinwohl allernotwendigste wurde schriftlich festgehalten. Im Zeitalter der Reformation fehlten Bemerkungen zur Religionsausübung.
Im Einzelnen lesen wir in den Hofmarksartikeln Niederaichbachs von schwersten Strafen bei Schwarzfischerei und Wilderei, Vorschriften über Tagesgebete und religiöser Erziehung von Kindern und Ehehalten (Dienstboten), Kirchenbesuche, Getreideablieferungen, Zinszahlungen, Alkoholverbot vor Gottesdiensten, Ausgangsbeschränkungen, ein Fluchverbot, Verbote von Zusammenkünften in Privathäusern zum gemeinsamen (Spinnen und Weben im Winter), Herbergungsverbot usw. Ein Strafkatalog bei Nichtbefolgung wird ebenso aufgeführt.
Der Niederaichbacher Hofmarksherr scheute sich auch nicht, der Befolgung seiner Hofmarksartikel den gleichen Rang einzuräumen wie dem Gehorsam gegenüber den 10 Geboten Gottes. Die Hofmarksartikel erstreckten sich auf die Sachwerte UND Menschen des Dorfes, die jederzeit veräußert werden konnten.
Gartende Männer (meist fahnenflüchtige, marodierende Landsknechte) waren unbedingt dingfest zu machen. Man befand sich damals im 30-jährigen Krieg.
Von alldem ist im Oberaichbacher Dorfrecht nichts zu lesen, auch nichts darüber wer in Oberaichbach was, wann im Dorfwirtshaus trinken durfte.
Der Verfasser der Niederaichbacher Dorfartikel starb 52-jährig 1638. Sein Sohn Franz Nikolas von Toletin, Graf von Königsfeld, streng und gebildet wie sein Vater, verschärfte als studierender Jurist die Dorfordnung nochmals und brachte es fertig, während der größten Kriegskatastrophe die Deutschland jemals erlebte, im Dreißigjährigen Krieg, seine Hofmark zu verdoppeln, sein Schloss in Niederaichbach mehr als doppelt so groß wie vorher, in heutiger Form, von 1672 – 75, neu aufzubauen und die baufällige Nikolakirche im Dorf neu zu errichten. Franz Nikolaus kaufte sich auch einträgliche Staatsposten. Die Bedeutung der Hofmark Niederaichbach (sein Vater hatte 1625 die Hofmark Oberaichbach bereits dazugekauft) stieg enorm. Von den damaligen Dorfbewohnern erfahren wir aus den Chroniken so gut wie nichts.
Hervorgehoben werden muss, dass die Dorfbesitzer gegenüber der gesamten Bevölkerung ein mehr oder weniger deutliches Übergewicht in allen Rechtsgeschäften besaßen. An Georgi (23.04.) und Michaeli (29.09.) versammelten sich die Dorfbewohner schon in aller Frühe auf dem Tanzboden ihrer Taverne. „Heut ist Dorfrecht“ sagten die Leute damals an diesen beiden Tagen. Der Stellvertreter des Dorfeigentümers, der Hofmarksrichter oder Amtmann eröffnete die Versammlung, indem er der „gmain“ die Artikel des Hofmarksrechts vorlas. Diese alle zwei Jahre wiederkehrende Standpauke an die Dörfler endete mit der Aufforderung, mit dem „Rügen“ zu beginnen. Jeder, der einen Gesetzesverstoß in der Vergangenheit beobachtete, war aufgerufen, jetzt zu berichten.
Der Richter war von zwei gewählten Dorfschöffen umgeben, trug seinen Richterstab in der Hand und sprach nach Anhörung der Kläger und Schöffen sofort die Strafe aus, zum sofortigen Vollzug. Aufgegriffene Schwerverbrecher, die ein Strafmaß erwartete, das über dem Bereich der niedrigen Gerichtsbarkeit lag, mussten innerhalb von drei Tagen dem zuständigen Landgericht gemeldet werden. Schergen holten dann den Deliquenten, der mit „Hanf, Stroh und Eisen“ an die Falltorsäule zu binden war, von dort ab, da sie keine Hofmark betreten durften. Ungeschriebenes Gesetz war es, dass sich jeder erwachsene Mann, sollte es notwendig sein, innerhalb der Hofmark aktiv an Verbrecherjagten zu beteiligen hatte. Im Dorfrecht wurden also nur Fälle der niederen Gerichtsbarkeit abgehandelt.
Diesem peinlichen Abschnitt des Dorfrechtstages auch Schrannentag oder Ehehafttaiding genannt, folgte ein lebhaftes, öffentliches Gespräch über Pachtverträge mit der Herrschaft, Zinsabgaben und über die öffentlichen Arbeiten, die nur gemeinsam erledigt werden konnten. Dies nannte man Scharwerk. Dazu gehörte das Ausbessern der Straßen, der Brückenbau, das Reparieren der Feldzäune und auch das Beseitigen der Hochwasserschäden.
Der Tavernenwirt musste nach altem Recht seine Dorfbewohner kostenlos zu Mittag bewirten: auf jeden Tisch musste eine Maß Bier, eine Maß Wein, ein Kreuzerbrot und ein Kalbs-, Schweine- oder Rinderbraten gestellt werden. Für den Richter war Futter für 2 – 3 Pferde bereitzuhalten und ihm 60 Pfennige auszuhändigen. (Der Scharwerkstageslohn in Niederaichbach um 1540 betrug ca. 6 Pfennige pro Tag und Mann)!
Der Nachmittag der Dorfbewohner war dann voll ausgefüllt. Sie mussten „Reichnisse“, d. h. ihre Abgaben in Naturalien und Geld an die Hofmark, den Bader (Friseur), den Schmied oder den Pfarrer abliefern. Hatte man etwas zu verkaufen, musste man es dem Hofmarksherren, dann dem Wirt anbieten, um es dann endlich, wenn von diesen Herrschaften kein Interesse gezeigt wurde, verkaufen zu können. An diesem Tag wurden auch von der Dorfgmain (Dorfgemeinschaft) der Groß- und Kleinhüter bestellt der dann das Kleinvieh sowie das Großvieh hütete.
Wichtigstes Ereignis an diesem Schrannentag war auch die Vergabe der Äcker an die einzelnen Bauern, soweit sie Eigentum der Dorfherrschaft waren. Jedes Jahr war ein Wechsel der Bearbeiter vorgesehen. Die Schrannentage Georgi und Michaeli sorgten auf dem Dorf für Abwechslung, es herrschte große Geschäftigkeit und sicher war man zur damaligen Zeit dankbar für die damit verbundene Geselligkeit.